New Orleans Herz steht still – Nachruf auf Dr. John

Als Dr. John am 6. Juni im Alter von 77 Jahren einem Herzinfarkt erlag, hätte New Orleans ihm zu Ehren eigentlich auf Halbmast flaggen müssen. Denn niemand trug die Stadt in Louisiana so sehr im Herzen wie der Ausnahmemusiker, niemand verkörperte und verklangbildlichte „The Big Easy“ so nachhaltig wie Malcolm „Mac“ John Rebennack Jr., wie er eigentlich hieß.

Meine Trauer über den Tod Dr. Johns ist so groß wie meine Dankbarkeit und mein Respekt vor diesem Menschen, dessen originäre, vor Lebendigkeit pulsierende, sämtliche kulturellen Einflüsse des Mississippi-Deltas aufsaugende und unverwechselbar spielende Musik mir so lieb, vertraut und wertvoll geworden ist wie nur wenige.

Dr. John war weit mehr als nur der schillernde Paradiesvogel, der „Nite-Tripper“, als der er Ende der 1960er Jahre die Musikwelt überraschte mit seinen dem Mardi Gras Ehre erweisenden Kostümparaden, mit seiner extraordinären Musikmischung, die es bis dato nicht gegeben hatte, die Dr. John über 50 Jahre lang zelebrierte und ständig neu interpretierte.

Unter den Federkleidern des auch physisch gewichtigen Manners ruhte schon früh der Genius eines beseelten Musikers, der sich neben seinem Feingefühl auf dem Klavier auch auf seine Experimentierfreudigkeit verlassen konnte, die ihm nicht nur den Respekt vieler Musikerkollegen eintrug, sondern auch zahlreiche Ehrungen wie insgesamt sechs Grammys und die Aufnahme in die Ruhmeshallen von Blues und Rock and Roll.

Wie New Orleans selbst war Dr. Johns Musik ein einziger Schmelztiegel aus Blues, Rhythm and Blues, Boogie Woogie, Jazz, Funk, Soul, Cajun und kreolischen Einflüssen. Ein Musik-Magier, ein Voodoo-Priester, der aus all diesen Essenzen die wirksamsten Klang-Kräuter destillierte. Ein Musikalchimist, der einem Meisterkoch aus Louisiana gleich eine brodelnde, scharfe akustische Gumbo zu einem Sound geheimer Heilkräfte zusammenmischte.

Völlig hingerissen war ich seinerzeit und bin ich bis heute von „Going Back To New Orleans“, dem 1992 erschienenen, Grammy-prämierten Album, das ich für eines der vollkommensten der Popularmusik erachte. Ein mitreißendes Meisterwerk, das tief in die Wurzeln der Kultur von New Orleans greift und Tradition mit Moderne verbindet. Aus diesem Musik-Meilenstein teilt sich eine unbändige Lebensfreude mit, faszinierend in seiner stilistischen Bandbreite, die Dr. John zu einer homogenen Einheit versammelt, vom Meister selbst leichthändig gespielt, angereichert mit Chören und Bläsersätzen, überaus farbig im Charakter.

Eine unvergleichliche Hommage an New Orleans, eine wundervolle Liebeserklärung an die Wiege des Jazz und an Dr. Johns lokale musikalische Vorbilder Louis Armstrong, Professor Longhair, Fats Domino, Allen Toussaint. Im Jahr 2004 baute er seiner Stadt mit „N’Awlinz Dis Dat Or D’Udda“ ein weiteres Denkmal, das nahtlos dort anknüpfte, wo das erste New Orleans-Opus geendet hatte.

Mit einigen französischen Songs schickte Dr. John hier persönliche Grüße ans legendäre French Quarter und mit einer fabelhaften Interpretation von „When The Saints Go Marchin In“ verneigte er sich gen Louis Armstrong, dem zu Ehren er mit „Ske-Dat-De-Dat – The Spirit of Satch“ 2014 sogar ein ganzes Album folgen ließ.

Eine Sonderstellung nimmt sicher auch „City That Care Forgot“ ein, mit dem Dr. John, unterstützt von einer Begleitband mit dem vielsagenden Namen Lower 911, ein drittes Mal New Orleans zum Brennpunkt seiner Musik machte. Und zwar aus traurigem Anlass, weil er mit diesem Werk der Opfer des Jahrhunderthurrikans Katrina gedachte und gleichzeitig das Versagen der Bush-Administration bei der Hilfe für das durch die Naturkatastrophe zerstörte New Orleans scharf anprangerte. Ein politisches Statement, das ungewöhnlich war für Dr. John und ihm mit großer Zuneigung der Einheimischen gedankt wurde.

Neben diesen besonders denkwürdigen Werken hat Dr. John über 30 weitere Alben veröffentlicht, unter denen sich viele Perlen befinden. Seien es vibrierende Frühwerke wie „Creole Moon“, das ganz dem Jazz verschriebene „In A Sentimental Mood“, das den Beginn seiner Karriere zitierende „Anutha Zone“, das heißen Funk atmende „Tribal“ oder schließlich das von Dan Auerbach (The Black Keys) meisterlich produzierte „Locked Down“, in dem der Altmeister noch mal im jungen Sounddesign erblühte.

Bis zu seinem Tod hat Dr. John, bereits physisch geschwächt, noch an einem Country-Album mit Interpretationen von Hank Williams, Willie Nelson u. a. gearbeitet, das er zum Glück bis zur Fertigstellung begleiten konnte und das dann wohl im Laufe des Jahres als letztes Vermächtnis erscheinen wird.

Kein Zweifel. Dr. John ist durch seine Musik unsterblich geworden. Ruhe in Frieden in der Erde Deiner Heimat, in den Armen Deiner großen Liebe New Orleans! Ich werde Dich sehr vermissen, aber auch stets in meinem Herzen tragen, Mac, in dem jedes Mal, wenn ich Deine Musik höre, Dein spezieller Klang des Big Easy ertönt und nachhallt!

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