Tilt! – zum Tod von Scott Walker

Wieder so eine Todesnachricht, die mich kalt erwischt und die ich erst verdauen muss. Scott Walker lebt nicht mehr. Der Mann, der mit den Walker Brothers Weltruhm erlangte und sich zu einem der großen Avantgardisten entwickelte, der mit seinen großen Solowerken die Grenzen des Hörbaren auslotete wie kein zweiter – Musik, sperrig bis an die Schmerzgrenze, faszinierend fragile bis exzessive Klangwelten, die einen sprachlos machten.

„The sun ain’t gonna shine anymore“ habe ich immer als eine der schönsten Balladen der 60er Jahre empfunden, Walkers Interpretationen von Jacques Brel zählen zu den den leidenschaftlichsten Anverwandlungen fremder Kompositionen und seine unfassbar ambitionierten, konsequenten, teils verstörenden Albenexperimente wie „Tilt“, „The Drift“ und „Bisch Bosch“ sind sonische Grenzgänge, auf denen sich Walker fast im Alleingang auf unerschlossenes Terrain wagte. Was ihm zurecht die Bezeichnung „30th Century man“ eintrug, wie die gleichnamige Filmdokumentation eindrucksvoll bezeugt.



Mit Scott Walker verliert die Musikwelt eine enigmatische Ausnahmerscheinung, die überdimensionale Spuren und auch einen Raum von Geheimnis hinterlassen wird, Klangkunst im wahren Wortsinn, was sicher Deutungen zuhauf nach sich ziehen wird. Für den Augenblick bleibt erst einmal eine unerträgliche Leere und existenzielle Stille, wie Scott Walker sie in seinen besten Momenten mitten in seinen Stücken zu platzieren verstand als hätte er das Nichts erschaffen und vertont. Rest in peaceful sound, Scott!

Vor einigen Jahren habe ich mich im Rahmen von „Unplugged“, dem gemeinsamen Kunstprojekt mit Raimund Spierling an einer lyrischen Hommage für Scott Walker versucht, die ich nun noch als ebenfalls avantgardistischen Nachruf hinterherschicke.

30th Century man(dedicated to Scott Walker)

Pop, Pathos, Posen       bis die Sonne nicht mehr zu scheinen schien  

Gejagtes Groupie-Paparazzi-Wild      Starkasmus-Beute manischer Meute 

Die Klingen Konvention und Konformismus schon an der Karrierekehle 

Balladesker Sänger-Schmerz           Schleudertrauma Hitzentrifuge 

Entbrüderung     Letzte Schnittmenge  Name      Geher >  Grenzgeher 

Romanzentod                Rhythmusvisionen         Synapsen-Nachtflug

Nachtflucht vom Plattenacker      Parzelle Ruhm     unfruchtbarer Boden

Das Herz wilder Garten       vokaler Blüten       instrumentaler Insekten 

Kakophones Summen Brummen Verstummen im Ohrganismus Scott 1234

AquaBrellierter Abschied in Avantgarden                        Ecce Homo Orpheus 

Klausur    Klangkonklave    Mönchsstille     Kathedrale akustischer Askese

Musik wachsen hören in Gottes Geräuschwerkstatt       Neuerschaffung Noel 

Apoll-Gen     in die sanierte Seele gestanzt         Engel aus der Versenkung   

Im Studiolabor Mysterium 

Spuren verwischen        Spuren legen       Spuren mischen         ur ur ur

Pipette Intuition             Petrischale Provokation              Bakterium Ton 

Unerhörtes in die Ohren der Welt tropfen           Unhörbares                  TILT!

Die Felle der Menschen trommeln      bis Blut spritzt aus der Harmoniehaut

Alte Hörnerven ziehen      Dissonanzen pflanzen auf die auditive Hirnrinde

Alles Mimetische mit Hammer und Amboss aus dem Muschelkalk hauen

Die Anatomie der Musik auf der Schlachtbank

Stimmen in Bänder reissen     

Noten ausbeinen

Den Knochen Klang lösen aus dem Fleisch Perkussion 

Dirigieren der Artituren 

Tontrümmer          Tontorsen         Testamentales Timbre          Thanatos

Synkopen später der letzte Laut Licht                 das Fluten allen Dunkels

Zurück zur Sonne

 aber Sunn O)))

http://www.spierlingart.com/unplugged/