Chansonnier préféré: Erinnerung an den unsterblichen Jacques Brel

Es war Liebe auf den ersten knisternden Ton. Ich werde nie den Moment vergessen, als ich Mitte der Siebziger Jahre erstmals ein Chanson von Jacques Brel hörte. Es war in meiner damaligen Stammkneipe Domizil in Düsseldorf (nomen est omen) und der Wirt Volker legte an einem frühen Samstagmorgen, als ein Häufchen Nachtschwärmer mal wieder in bierseliger Stimmung über Gott und die Welt philosophierte, eine Schallplatte des Belgiers auf.

Ich verstummte schlagartig mitten im Gespräch und bedeutete meinen Thekennachbarn mit dem Zeigefinger vor dem Mund, bitte für einen Moment zu schweigen. Was da an mein Ohr drang, war bedeutender als jedes verstiegene Gespräch, wurde mir unmittelbar bewusst. Diese „Mathilde“, deren Rückkehr Brel da mit ungeheurer Begeisterung und Leidenschaft feierte, eroberte sofort mein Herz. Ein nicht einmal dreiminütiges Drama, das mich mitriss und von jetzt auf gleich zum glühenden Brel-Bewunderer werden ließ. https://www.youtube.com/watch?v=uFGsoJlizD0

Nur wenige Stunden nach diesem Erweckungsmoment stöberte ich mich im Plattenladen meines Vertrauens durch das Werk von Jacques Brel und begann ihn, Lied für Lied zu entdecken und mehr und mehr zu verehren. Was für ein Geschichtenerzähler, welch ein Timbre, dessen rollendes „R“ dem Bariton noch mehr Tiefe und unverwechselbaren Charakter verlieh.

Was für eine Fundgrube an himmelhoch jauchzenden und zu Tode betrübten Balladen. Welches Repertoire an genau beobachteten alltäglichen Geschichten. Welche Liebe für die Außenseiter, welche Ironie für das Etablissement. Und was für ein musikalischer Abwechslungsreichtum, der noch für jedes Narrativ eine musikalisch perfekte Entsprechung fand. Was auch auf Brels feines Gespür für die richtigen musikalischen Partner verweist.

Mit François Rauber und Gérard Jouannest vertraute Brel auf zwei kongeniale Komponisten und Arrangeure, die seinen Geschichten musikalische Anzüge nach Maß schneiderten. Ob instrumental reduziert und pointiert akzentuiert, groß orchestriert oder im Gewand von Zirkus-, Varieté- oder Jahrmarktmusik, jedes Chanson gewann auf Platte wie auf der von Brel geliebten Bühne die ungeheure Präsenz, die den Sänger selbst auszeichnete und zum primus inter pares des französischen Chansons avancieren ließ. Noch heute verkaufen sich seine Alben vielfach.

Natürlich sind da zuerst die bekannten, vielfach gecoverten Lieder wie die zum Niederknien schönen „Ne me quitte pas“ https://www.youtube.com/watch?v=9rJ_sgv645o, „La Chanson des vieux amants“ https://www.youtube.com/watch?v=KFb-SQoni9s oder das orchestrale „Orly“, https://www.youtube.com/watch?v=lDWm1mZ7xV0 aber der Brel-Kanon bietet noch weit mehr solch mitunter weniger bekannter Perlen, die die gleiche Beachtung verdienen.

Wie z. B. „Sans Exigences“, https://www.youtube.com/watch?v=nCEXhCr-iLk eines seiner großen Liebesabschiedslieder, das nur von seiner Stimme, etwas Kirchenorgel und Anklängen von Spinett getragen wird. Oder das mit feinen https://www.youtube.com/watch?v=PEwmj4Mq9kc Pizzicato-Tupfern verzierte „Les Marquise“,  das sich mit zarten Harfenklängen, Streichern und schönen Oboenlinien auswächst zur reich kolorierten wehmütigen Ballade, die Brel in seinem selbstgewählten Paradies auf der polynesischen Insel Viva Oa als eines seiner letzten Lieder geschrieben hat.

Meine neu entflammte Liebe für Brel wurde damals zusätzlich befeuert durch deutschsprachige Künstler wie Michael Heltau, der in seiner ZDF-Sendung „Liederzirkus“ Mitte der Siebziger Jahre wagte, anspruchsvolle Liedkultur zum Programm zu machen und dabei mit seinen fabelhaft theatralischen Brel-Anverwandlungen dem Chansonnier gerecht wurde. https://www.youtube.com/watch?v=cp1U8ZEqwyM

Dem von mir hoch geschätzten Liedermacher Klaus Hoffmann gelangen ganz intime, melancholische Cover von Jacques Brel Stücken. Ihn entdeckte ich durch sein wunderbares Live-Album „Ich will Gesang, will Spiel und Tanz“, auf dem er einige Brel-Chansons, u. a. „Adieu Emile“ https://www.youtube.com/watch?v=xXmNLZcpZlw einfühlsam auf deutsch interpretierte. Noch heute ist seine darauf vertretene Eigenkomposition „Gerda“, die deutlich durch Brel beeinflusst ist, ein Lieblingslied der Zeit von mir.

Nicht zu vergessen der große Herman van Veen, der mit seiner warmen Stimme und seinen emphatischen Vorträgen die ganze Emotionalität von Brels Chansons zum Ausdruck zu bringen vermag. Allein sein „Ich weiß (Ich kann keinen weinen sehn)“, van Veens Interpretation von einem der letzten Brel-Songs „Voir un Ami pleurer“ ist herzzerreißend schön und treibt mir jedes Mal die Tränen in die Augen. https://www.youtube.com/watch?v=xzX3F6dkSCI

Juliette Greco, Nina Simone, Scott Walker oder David Bowie gehören zu den Granden des internationalen Musikbusiness, die dem Meister der kleinen Dramen ihre Reverenz erwiesen. Selbst die französische Indierockband Noir Desir nahm mit „Ces gens-là“ einen Brel-Klassiker in ihr Repertoire auf.https://www.youtube.com/watch?v=QMpRuLD6xSY Ein Höhepunkt sicherlich Bowies emphatische Version von „Amsterdam“, dieser genialen Brel’schen Hafenskizze voller trunkener, lüsterner Seemänner mit unstillbarer Sehnsucht nach etwas Hurenliebe vor der nächsten großen Fahrt hinaus aufs weite frauenlose Meer. Famos! https://www.youtube.com/watch?v=4uPZIG5BHD4

Allein dieses kleine große Lied ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie unglaublich hoch das Niveau von Brels Songwriting einzuschätzen ist. Kein Zweifel, dass der Belgier in einem Atemzug mit Bob Dylan und Leonard Cohen genannt werden muss. Am heutigen 8. April wäre Jacques Brel 90 Jahre als geworden. Seine unvergleichliche Kunst hat ihn längst unsterblich gemacht. https://www.youtube.com/watch?v=YLk2htrIpv8