Remember Niepel

Eine der prägenden Personen in meinem Leben, an die ich mich stets mit einem Gefühl von tief empfundener Freude, Respekt und Dankbarkeit erinnere, war der wunderbare Hans-Jürgen Niepel. Ich hatte zu Beginn der 1980er Jahre das große Glück, unter der Obhut des gebürtigen Berliners in seiner Düsseldorfer Literaturhandlung und der angeschlossenen, hoch angesehenen Galerie für zeitgenössische Kunst eine Ausbildung zum Buchhändler zu machen.

Während dieser Zeit in der Grabenstraße 11 lernte ich nicht nur auf besondere Weise den hohen geistigen und seelischen Nährwert von Literatur und Kunst kennen und schätzen, sondern auch viel über das Leben, über gelebte Freigeistigkeit und nicht zuletzt über Haltung. Denn Niepel, wie er von Freunden und engen Kunden kurz, aber respektvoll genannt wurde, pflegte in seinem kleinen, aber feinen Etablissement wahre Liberalität und Menschenfreundlichkeit. Zensur und jede Form von Intoleranz und Ausgrenzung waren dem charakterstarken Mann suspekt.

In meinen Gedanken sehe ich Niepel oft – wie auf dem heute von mir eingescannten alten Polaroidfoto – einen letzten prüfenden Blick auf das frisch dekorierte Schaufenster werfen, in dem der berühmte Uecker-Nagel ebenso wenig fehlen durfte wie die anspruchsvollen Werke der Creme de la Creme aus Literatur, Philosophie und Kunst. Nicht selten stand auch Arno Schmidts Ausnahmewerk „Zettels Traum“ wie ein Mahnmal gegen Dummheit und Engstirnigkeit inmitten der Auslage.

Kein Wunder, dass bei Niepel unter dem Ladentisch auch jene Bücher verkauft wurden, die in der bigotten, auf Disziplin und Wohlstand gedrillten Bürgergesellschaft ein Dorn im Auge waren, ob Autoren mit linker Gesinnung oder nicht jugendfreie Literaten wie Henry Miller. Nicht von ungefähr kreierte der Wiener Schriftsteller Rüdiger von Schmeidel den Satz „Better people go to Niepel“, der treffender nicht hätte sein können für diese Oase der Kulturpflege, deren mitunter rebellisches Flair viele Intellektuelle anzog.

Noch mehr als für die Literatur schlug das Herz von Hans-Jürgen Niepel für die Kunst und für eine Schar junger Künstler, deren engagierter Mentor und väterlicher Freund er mit seiner Galerie war. Ein Fürsprecher der Kunst, der sich mit Verve auch gegen spießbürgerliche Meinungen und Gesinnungen anzulegen und durchzusetzen wusste. Bestes Beispiel sind seine nachhaltigen Interventionen, das Andenken an Düsseldorfs größten, aber zugleich auch umstrittenen Dichter Heinrich Heine, mit einem außergewöhnlichen Denkmal zu würdigen.

Die 1978 von Bert Gerresheim geschaffene Vexierplastik in Gestalt einer gespaltenen Totenmaske Heines ist Sinnbild für die Zerrissenheit des Dichters, der Welt aus seiner Sicht und den Umgang seiner Heimatstadt mit dem lange verfemten berühmten Sohn, der aus Sicht vieler Deutscher das Ansehen Deutschlands mit seinen satirisch-kritischen Tönen beschmutzt hatte. So ist es ganz wesentlich auch der Hartnäckigkeit Hans-Jürgen Niepels mit zu verdanken, dass Düsseldorf eines der denkbar schönsten und würdevollsten Dichterdenkmäler sein eigen nennen kann.

Obwohl Niepel mit zunehmendem Alter von einer schleichenden Rückgratverkrümmung gepeinigt wurde, die ihn des freien Blickes auf das von ihm gelebte Leben beraubte, verlor er nie seine offene, lebensbejahende Haltung und seinen verschmitzten Humor und bleibt in meiner Erinnerung ein Mensch erhobenen Hauptes, der mir Vorbild ist und bleibt. An seinem heutigen Geburtstag gedenke ich seiner mit einem nach seinem Tod 2007 von mir verfassten Gedicht.

Verbeugung vor einem Gebeugten 

Im Weichbild der Stadt,

die immer Dorf bleibt,

ein kleiner alter Mann, 

dessen bucklige Gestalt

kurz auftaucht am Markt

und sich wieder verliert

im hektischen Geschehen.

Ich sehe ihm lange nach,

ihm, der mich lehrte,

Bücher und Kunst zu lieben.

Ich sehe den kleinen Mann

in der Ferne verschwinden.

Nie sah ich einen Gebeugten

freier und aufrechter gehen.