Living in another world – zum Tod von Mark Hollis

Manche Meldungen treffen einen wie ein Boxhieb, bei dem man unweigerlich auf die Bretter geht. Die Nachricht, dass Mark Hollis gestorben ist, zieht mir gerade wie ein Leberhaken für einen Moment den Boden unteren Füßen weg. Obwohl sich Hollis vor langer Zeit aus der Musikwelt zurückgezogen hatte, ist er sofort wieder in meinem ewigen Soundgedächtnis präsent als einer, der zwar nur wenige, dafür aber herausragende Werke geschaffen hat.

Natürlich fallen jedem sofort, wie in den vielen spontanen Nachrufen zitiert, die großen Hits „Such a shame“ und „It’s my life“ ein, die ihn als Gründer, Sänger und Spiritus rector der Band Talk Talk in den 1980er Jahren schlagartig berühmt machten. Weit über diese Charts-Klassiker hinaus aber wird Hollis stets – für mich zumindest – mit jenen letzten Werken verbunden sein, in denen er den Weg von der Rockmusik in die Avantgarde des Schönklangs beschritt.

Schon auf dem 1986 erschienenen Edelpopwerk „Colour of spring“ deutete sich an, dass Mark Hollis die Grenzen der Rockmusik nicht nur verschieben, sondern überschreiten und letztendlich überwinden wollte und würde. Bereits das Albumcover lässt die Transformation zum Soundschmetterling erahnen, die das Werk selbst dann bestätigte.

Die hymnische Kraft der Songs auf diesem Album ist überwältigend und mitreißend, die Platte ist ein Manifest der positiven Verwandlung, von dem bereits einige der Songtitel als Botschaft kündeten: „Happiness is easy“, „Living in another world“ und nicht zuletzt „Life’s what you make it (You can’t escape it)“ – eine Prophezeiung, die sich jetzt am 18. Februar erfüllte, als für Mark Hollis im Alter von 64 Jahren dieses durch sein Tun erfüllte Leben endete.

Die Blaupause für den damaligen Wandel in die pure Soundästhetik lieferte Hollis Anfang der 80er möglicherweise Japan-Sänger David Sylvian, der den New Wave seiner Band ebenfalls transformierte in edelste, höchst ambitionierte Klangwelten, für die er heute als einer der ganz großen Avantgardisten der Populärmusik geschätzt wird. Ähnlich inspiriert zum Experiment wagte Mark Hollis den Sprung über den Popstar-Schatten in die musikalische Meditation, die in Werken purer Kontemplation gipfelte, von den beiden letzten Talk Talk Alben „Spirit of Eden“ und „Laughing Stock“ bis zum selbstbetitelten Soloalbum „Mark Hollis“, in dem schließlich der Musiker selbst zu verschwinden schien.

Es war, als habe Hollis mit diesem finalen Solowerk ein Versprechen eingelöst, das er nur sich selbst gegeben hatte. Das Nichts, aus dem der Mensch kommt und in das er geht, in aller gebotenen Schönheit und Vollkommenheit zu vertonen. Und so konnte es nicht wirklich überraschen, dass Hollis den Rückzug in dieses Nichts, in die Leere und Stille als letzte Konsequenz tatsächlich vollzog und man fortan keinen Ton mehr von ihm hörte. Bedauerlich für uns, aber gewiss nicht für diesen Genius, als den ihn zahlreiche Musikerkollegen würdigten.

Möge Mark nun auf seiner letzten Reise mit dem „Spirit of Eden“ beschenkt sein, den er auf so unerhörte Weise in die Magie von Klang überführt hat. Ich bin sicher, dass er in dieser anderen Welt fortlebt und in einer Metamorphose höchstselbst zum elegischen Sound an der Grenze zur paradiesischen Stille wird und als unendliches Echo von Harmonie nachhallt in unseren Herzen. In meinem auf jeden Fall.

Rest in soundful silence, Mark!