Der Himmel über Berlin weint: Adé Bruno Ganz

Dass Bruno Ganz das irdische Dasein an einem sonnigen Tag im Laufe der heute endenden Berlinale verlässt, kann kein Zufall sein. Ich deute es als Zeichen des Himmels über Berlin, dass er den verehrten und bewunderten Schauspieler, diese Lichtgestalt des Kinos, mit offenen Armen empfängt und ihn auf der fernen Leinwand des Firmaments als Schutzengel für immer unter uns weilen lässt.

Ich schreibe diesen Beitrag unter Tränen, die mir in die Augen treten, wenn ich an all die wunderbaren Filmrollen denke, in denen Bruno Ganz mich zutiefst berührt und mit seiner feinen, unaufdringlichen, bis in jede Gesichtsfalte nuancierten Darstellungskunst bereichert hat. Sei es als dem einer Apathie anheimfallenden Jonathan Zimmermann in Wim Wenders „Der amerikanische Freund“ oder in Volker Schlöndorffs Literaturverfilmung „Die Fälschung“ nach dem gleichnamigen Roman von Nicolas Born als von Leben, Liebe und Weltlage verwirrter Journalist im Bürgerkrieg im Libanon.

Meine erste nachhaltige Begegnung mit dem Genius von Ganz hatte ich 1978 durch die TV-Produktion „Schwarz und weiß wie Tage und Nächte“ unter der Regie von Wolfgang Petersen. Ganz spielt darin ein vom Spiel besessenes Schachgenie auf so eindringliche Weise, dass sich der in die von ihm verkörperte Figur Thomas Rossmund einschleichende Wahnsinn von fast beängstigender Realität und Intensität ist.

Natürlich liebe ich wie so viele die weiteren, längst Kultstatus genießenden Höhepunkte im Wenders-Schaffen „Der Himmel über Berlin“ und „In weiter Ferne, so nah“. Dieser von Ganz mit aller Herzenstiefe gespielte Engel Damiel, der bereit ist, für die Liebe seine Unsterblichkeit zu verlieren, ist ein Glanzlicht des emotional acting. „Brot und Tulpen“ fällt mir auch gleich ein, diese zarte italienische Liebesgeschichte von Silvio Soldini über die seelischen Grundnahrungsmittel der Menschenseele.

In der „Der Untergang“ als Hitler ruft Bruno Ganz das ganze Potenzial des Dunklen ab, das ein Schauspieler seines Formats selbstredend auch beherrschen muss. Trotz aller Größe der Darstellung ist es die Rolle, die ich am wenigsten von ihm mag, weil sie wie eine Entfremdung von diesem zarten, filigranen Mann wirkt, beinahe eine Verleugnung seines eigenen subtilen, feinnervigen Charakters. Nichtsdestotrotz, aus seinem Menschsein einen solchen Unmenschen herauszuholen, ist eine enorme schauspielerische Leistung.

Nicht zu vergessen Theo Angelopoulos filmisches Meisterwerk „Die Ewigkeit und ein Tag“, der Abschiednehmen, Tod und Trauerbewältigung zum zentralen Thema hat. Ganz spielt in diesem bildgewaltigen cineastischen Monument des griechischen Filmpoeten auf eine so anrührende Weise, dass er die pure, nackte Menschlichkeit in dieses Epos bringt, in dem die Hauptfigur ungewollt zum Schutzpatron eines kleinen Jungen auf der Flucht vor Menschenhändlern wird. Aus meiner Sicht die virtuoseste, am tiefsten unter die Haut gehende Vorstellung, die der Schweizer je gegeben hat.

Zuletzt beeindruckte er mich noch als Sigmund Freud in der Verfilmung von Robert Seethalers Roman „Der Trafikant“, wo er den weisen Mentor des jungen Tabakwarenlehrlings Karl Huchel verkörpert, dessen aufrechter Humanismus ihm zur Zeit der Nazis zum Verhängnis wird.

Ich werde Bruno Ganz sehr vermissen, die sanfte Stimme, an deren Gaumen immer noch eine Silbe Restschweiz kratzte, diese tiefen, melancholischen Blicke, die einen stets mitnahmen in das Erzählte, das besondere Lächeln, in dem Verschmitzheit und Menschenfreundlichkeit sich trafen, die behutsamen Gesten und Bewegungen, mit denen er jedes Geschehen auf der Leinwand in der Balance hielt. Ein Mime im besten Sinne des Wortes, der die gesamte Klaviatur der Emotionen bespielte und beherrschte.

Dieser Abschied schmerzt sehr. Also muss ich mich trösten mit einer selbst ersonnenen Szene. In meiner Vorstellung sehe ich Bruno Ganz an seinem letzten Tag umringt von allen Wegbegleitern, die Abschied nehmen mit Zitaten aus all seinen Filmen und Theaterrollen. Wim Wenders bringt ihm Flügel ans Sterbebett und Eleni Karaindrou dirigiert ein Orchester mit dem Titelthema aus „Eternity and a day“, wenn er als Damiel entschwebt in den Himmel über Berlin. Und dieser Himmel wird Tränen wie goldenen Glitter vergießen über den roten Teppich, wenn heute Abend die Bären verliehen werden und jeder, der Bruno Ganz kannte und schätzte, wird sich tief vor dem Menschen und seinem grandiosen Werk verneigen.

Ruhe in Frieden, Unsterblicher!